Keine zwei Küstenorte haben genau das gleiche Gezeitenmuster. Es gibt viele Faktoren, die dies beeinflussen, von der Form der Küstenlinie über die Trichterwirkung von Kanälen und Flussmündungen bis hin zur Tiefe des Meeres und der Nähe von Ozeanen. Die Zeiten und Höhen der Gezeiten sind in zahlreichen gedruckten und Online-Quellen auf der ganzen Welt verfügbar. Die meisten Segler, die mit ihren Schiffen in Gezeitengewässern unterwegs sind, haben sowohl gedruckte Exemplare wie auch elektronische Hilfen an Bord.
In diesem Kapitel lernen wir die englische Berechnungsmethode. Dazu schauen wir uns zwei Seite des "REEDS Nautical Almanac" genauer an:
Auf den beiden abgebildeten Seiten aus dem REEDS Nautical Almanac (hier für das Revier St Peter Port auf Guernsey) erkennt man im Wesentlichen zwei Hauptbereiche:
Im Text darunter werden die wichtigsten Navigationstipps und Einlaufinformationen für St Peter Port angegeben.
Diese grosse Tabelle enthält für jeden Tag zwei Hochwasser- und zwei Niedrigwasserzeiten.
Gezeitentabellen
Die Gezeitentabellen für die grösseren Häfen, die so genannten Bezugsorte (Stand Port), werden jedes Jahr veröffentlicht und zeigen alle Hoch- und Niedrigwasserzeiten für das ganze Jahr an. St Peter Port auf den Kanalinseln ist ein Bezugsort (Stand Port), und wir werden ihn als Beispiel verwenden, um einige Details zum Verständnis der Gezeitentabellen zu erklären.
Die Angaben für den 29. April 2014 lauten wie folgt:
Der 30. April ist rot markiert, was bedeutet, dass an diesem Tag Springflut herrscht. Zwei Tage vor und nach der Springtide zählen wir noch zur Springtide – ähnlich verhält es sich auch mit der Nipptide.
Diese Daten können wir nun in ein Gezeitenformular eintragen:
Diese Art von Information ist sicherlich bis zu einem gewissen nützlich, aber sie ist nur von begrenztem Wert, wenn man wissen will, wie tief das Wasser zu einem anderen Zeitpunkt ist oder wann die Flut einen bestimmten Pegelstand erreichen wird.
Dafür verwenden wir eine Gezeitenkurve. Im REEDS Nautical Almanac findet sich für jeden Bezugsort eine solche Gezeitenkurve.
Gezeitenkurven
Eine Gezeitenkurve ist eine grafische Darstellung der vorhergesagten Gezeitenhöhen und -zeiten für einen bestimmten Ort. Gezeitenkurven verwenden dieselben Gezeitendaten, die auch in Gezeitentabellen zu finden sind. Sie werden in der Regel als Diagramm mit der Zeit auf der horizontalen Achse und der Gezeitenhöhe auf der vertikalen Achse dargestellt. Die Kurve besteht aus zwei Teilen, dem geraden, linearen Diagramm auf der linken Seite und dem gebogenen Teil auf der rechten Seite.
Der gebogene Teil der Zeichnung zeigt das Muster des Anstiegs und des Rückgangs der Gezeiten. Beachten Sie, dass es zwei Kurven gibt, eine gepunktete für die Nippflut und eine durchgehende rote für die Springflut. In die Kästchen am unteren Rand des Diagramms werden die spezifischen Zeiten in stündlichen Abständen zwischen HW und LW eingetragen.
Suche nach einer Zeit für eine bestimmte Höhe der Flut
Nehmen wir als Beispiel an, dass wir am frühen Morgen des 29. April in der Nähe von St Peter Port unseren Anker werfen und dort für einige Stunden anhalten wollen. Unser Segelboot hat einen Tiefgang von 2.0 m, und wir nehmen an, dass wir mindestens 1.0 m unter dem Kiel als Reserve einplanen. Aus der Seekarte können wir ersehen, dass der küstennahe Ankerplatz bis auf 1.2 m über dem Kartennullpunkt abtrocknet.
Bei HW haben wir reichlich Wasser unter unserem Kiel:
Aber, wie lange können wir bleiben, bevor wir unseren Ankerplatz verlassen müssen? Wir wissen, dass wir eine Höhe der Gezeit von mindestens 4.2 m benötigen.
Hier kommen die Gezeitenkurven ins Spiel - damit können wir berechnen, wann wir uns weiter hinaus in tieferes Wasser begeben müssen. Zunächst ziehen wir eine gerade Linie (hier grün dargestellt) von 9.4 m (im oberen Rand des Diagrams, bei High Water Heights in Meters – H.W.Hts.m.) bis 1.0 (am unteren Rand, bei Low Water Heights in Meters – L.W.Hts.m.). Dann ziehen wir eine senkrechte Linie bei der 4.2 m Linie (hier braun dargestellt) bis zum Schnittpunkt mit der grünen Linie, dann eine waagrechte Linie bis zur Gezeitenkurve. Von dort zeichnen wir wieder eine senkrechte Linie nach unten bis zum unteren Ende des Diagramms. Dort können wir unsere Antwort ablesen: 30 Minuten nach 1026 beträgt die Höhe der Gezeit genau 4.2 Meter. Um auf Nummer sicher zu gehen, sollten wir unseren Anker um 11:00 Uhr lichten.