Die Fähigkeit, den eigenen Standort zu bestimmen und ein Ziel sicher zu erreichen, ist seit jeher von elementarer Bedeutung für Reisende. Bereits in der Antike nutzten Seefahrer die Sterne zur Orientierung, während Karawanen auf Handelsrouten sich an Landschaftsmerkmalen oder Wegpunkten wie Oasen orientierten. Während man sich an Land oft an markanten Punkten wie Bergen, Seen oder Siedlungen orientieren kann, erfordert die Navigation auf See – besonders ohne Landsicht – objektive Methoden zur Positionsbestimmung.
Das geografische Koordinatensystem
Um Positionen auf der Erdoberfläche exakt bestimmen zu können, wird ein weltweites Gradnetz aus Breiten- und Längenkreisen verwendet. Dieses System ermöglicht eine eindeutige Angabe jedes beliebigen Punktes auf der Erde.
Geografische Breite
Die geografische Breite wird vom Äquator (0°) aus gemessen, der als einziger Grosskreis den gesamten Erdumfang umspannt. Von dort aus werden 90° nach Norden bis zum Nordpol und 90° nach Süden bis zum Südpol gezählt. Der Durchmesser aller anderen Breitenkreise nimmt mit zunehmender Nähe zu den Polen ab. Die Angabe erfolgt in Grad, Bogenminuten und Bogensekunden. In der praktischen Anwendung, insbesondere auf Seekarten, wird jedoch oft mit Zehntel Bogenminuten statt mit Bogensekunden gearbeitet, da dies einfacher und schneller abzulesen ist. Der Hafen von Genua befindet sich zum Beispiel auf 44° 24,4' N.
Geografische Länge
Die geografische Länge wird vom Nullmeridian in Greenwich (ein Observatorium bei London) aus gemessen. Von diesem Bezugspunkt erstrecken sich 180° nach Osten (E) und 180° nach Westen (W). Alle Längenkreise oder Meridiane verlaufen als Grosskreise vom Nord- zum Südpol und auf der gegenüberliegenden Seite wieder zum Nordpol. Für Genua lautet die Längenangabe beispielsweise 008° 54,4' E.
Die Koordinaten vom Hafen Genua sind also: 44° 24,4' N, 008° 54,4' E.
Wichtige Zahlen
Zeitzonen
Alle 15° Längenunterschied entsprechen etwa einer Stunde Zeitdifferenz (360°: 24h).
Der Nullmeridian definiert dabei die Greenwich Mean Time (GMT). Gebiete östlich von Greenwich haben in der Regel eine Zeit vor GMT, westliche Gebiete eine spätere Ortszeit.
Distanzmessung auf Seekarten
Ein besonders praktischer Aspekt des geografischen Koordinatensystems ist die direkte Beziehung zwischen Bogenminuten und Seemeilen. Der Umfang der Erde am Äquator beträgt etwa 40.075 Kilometer, und eine Bogenminute ist ein 21.600stel dieses Umfangs (360 Grad × 60 Minuten). Eine Bogenminute auf dem Äquator (oder einem Längenkreis) entspricht exakt einer nautischen Seemeile (SM), die international auf 1.852 Meter festgelegt wurde. Diese Beziehung ermöglicht eine einfache Distanzmessung auf Seekarten.
Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen Breiten- und Längengraden: Während der Abstand zwischen zwei Breitenkreisen überall auf der Erde gleich gross ist (111,12 km pro Grad bzw. 1,852 km pro Bogenminute), variiert der Abstand zwischen Längengraden. Am Äquator beträgt er etwa 111,12 km, verringert sich aber mit zunehmender Nähe zu den Polen, da die Meridiane konvergieren. Auf 60° nördlicher Breite beispielsweise liegt der Abstand zweier Längengrade nur noch bei etwa 55 km.
Praktische Positionsbestimmung auf Seekarten
Die praktische Arbeit mit Seekarten erfordert präzise Methoden zur Positionsbestimmung. Dafür verwendet man einen Zirkel in Kombination mit den Skalenrändern der Karte. Zur Bestimmung der Breite misst man den Abstand zwischen dem gewünschten Punkt und dem nächstgelegenen Breitenkreis mit dem Zirkel und überträgt diesen Abstand auf die Breitenskala am Kartenrand. Dort lässt sich der entsprechende Wert in Grad, Bogenminuten und Bogensekunden ablesen.
Für die Längenbestimmung verfährt man analog, misst aber den Abstand zum nächsten Meridian und überträgt ihn auf die Längenskala. Dabei gilt: Die Breitenwerte nehmen nach oben für die nördliche und nach unten für die südliche Hemisphäre zu, während die Längenwerte nach rechts für die östliche und nach links für die westliche Hemisphäre zunehmen.
Zur Distanzbestimmung zwischen zwei Objekten auf der Seekarte kann der Zirkel ebenfalls praktisch eingesetzt werden: Man nimmt die Distanz zwischen den beiden Punkten in den Zirkel auf und überträgt sie auf den rechten oder linken Kartenrand, etwa auf gleicher Höhe wie die zu messende Strecke. An der Breitengradskala lassen sich dann die Bogenminuten ablesen, die direkt der Distanz in Seemeilen entsprechen. Wichtig ist dabei, dass diese Messung nie am oberen oder unteren Kartenrand vorgenommen werden darf, da dort die Abstände aufgrund der Kartenprojektion verzerrt sind.
Projektionen
Da die Welt dreidimensional ist, kann sie nicht ohne Verzerrungen auf einer zweidimensionalen Karte dargestellt werden. Die Mercator-Projektion ist die wichtigste Projektionsart für Seekarten. Die Kugeloberfläche wird auf einen Zylinder projiziert, der am Äquator anliegt. Dadurch werden die Längenkreise (Meridiane) zu senkrechten und Breitenkreise zu waagerechten Linien. Der grosse Vorteil dieser Projektion liegt in ihrer Winkeltreue , was sie ideal für die Navigation macht.
Der Nachteil ist eine zunehmende Flächenverzerrung zu den Polen hin.
Die Mercator-Projektion ist die am weitesten verbreitete Art der Darstellung von Seekarten.
Grönland vs. Afrika
auf einer Merkatorkarte (links) und rechts auf einer flächentreuen Karte.
Eine grundsätzliche Herausforderung der Kartografie liegt darin, dass keine Projektion gleich-zeitig flächen- und winkeltreu sein kann. Während die Mercatorprojektion die Winkel korrekt wiedergibt und damit ideal für die Navigation ist, benötigt man für die Darstellung realistischer Flächenverhältnisse andere Projektionsarten.
Eine grundsätzliche Herausforderung der Kartografie liegt darin, dass keine Projektion gleichzeitig flächen- und winkeltreu sein kann. Während die Mercatorprojektion die Winkel korrekt wiedergibt und damit ideal für die Navigation ist, benötigt man für die Darstellung realistischer Flächenverhältnisse andere Projektionsarten.
Dies ist eine flächentreue (aber nicht winkeltreue) Projektion der Erde.
Loxodrome und Orthodrome
Für sehr lange Strecken, etwa bei Ozeanüberquerungen, spielen Grosskreisrouten eine wichtige Rolle. Sie stellen die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Erdkugel dar und werden als Orthodrome bezeichnet. Auf einer Mercator-Seekarte erscheint diese kürzeste Route allerdings nicht als gerade Linie, sondern als gekrümmte Kurve. Dies liegt daran, dass die Mercator-Projektion die Erdoberfläche verzerrt darstellt, um Winkel korrekt abzubilden.
Die Loxodrome hingegen ist eine Kurve, die alle Meridiane unter dem gleichen Winkel schneidet. Auf der Mercator-Karte erscheint sie als gerade Linie, was die Navigation deutlich vereinfacht, da ein konstanter Kurs gesteuert werden kann. Der Nachteil ist jedoch, dass die zurückzulegende Strecke länger ist als bei der Orthodromen.
Routenberechnung im Vergleich. Rot: Loxodrome (länger), Blau: Orthodrome (kürzer).
Besonders deutlich wird der Unterschied zwischen den Routen beispielsweise auf der Route zwischen Tasmanien und Kap Hoorn: Während die Loxodrome als gerade Linie erscheint, führt die kürzere orthodromische Route in einem nach Süden gekrümmten Bogen bis auf 70 Grad südlicher Breite.
Die kürzeste Route zwischen Tasmanien und Kap Hoorn führt bis auf 70° Süd.
Das World Geodetic System 1984
Da die Erde kein perfekter Kreis oder Kugel ist, sondern ein komplexes Geoid, benötigt man für Karten und GPS-Daten ein standardisiertes Bezugssystem. Das heute gebräuchlichste System ist das World Geodetic System 1984 (WGS 84), das die Grundlage für satellitengestützte Navigation bildet. Moderne Seekarten basieren fast ausschliesslich auf diesem System.