Kurse und Kursumwandlungen

Wer zum ersten Mal auf See navigiert, macht häufig eine überraschende Entdeckung: Der Kurs, den der Steuerkompass anzeigt, stimmt nur selten exakt mit der Richtungsanzeige des GPS-Geräts überein. Dieser Unterschied ist kein Fehler der Instrumente, sondern das Ergebnis von vier Einflussfaktoren, die jeder Navigator kennen und verstehen muss:

 

1.     Ablenkung: Durch das schiffseigene Magnetfeld wird der Kompass beeinflusst. Das können wir mit Hilfe der Ablenkungstabelle ausgleichen.

 

2.     Missweisung: Die Abweichung zwischen rechtweisendem (geografischem) Nordpol und magnetischem Nordpol.

 

3.     Windabdrift (BW): Der Wind versetzt das Schiff seitlich vom eigentlich gesteuerten Kurs. Die Abkürzung steht für "Beschickung für Wind".

 

4.     Stromversetzung (BS): Die Strömung verschiebt das Schiff ebenfalls seitlich oder verändert seine Geschwindigkeit über Grund. Die Abkürzung steht für "Beschickung für Strom".

 

Die Kunst der Navigation besteht darin, all diese Einflüsse zu erkennen, richtig einzuschätzen und bei der Kursplanung zu berücksichtigen. Nur wer versteht, wie diese Faktoren zusammenwirken, kann sein Schiff sicher zum Ziel führen. Die moderne GPS-Technologie ist dabei eine wertvolle Hilfe, da sie den tatsächlichen Kurs über Grund anzeigt - aber sie ersetzt nicht das Verständnis der grundlegenden navigatorischen Prinzipien.

 

Kursarten und ihre Umrechnung

 

 

 

 

 

Beispiel 1: von Steuerkompass zum Kartenkurs

Nehmen wir an, wir steuern einen Magnetkompasskurs (MgK) von 85°. Um daraus den Kurs über Grund (KüG - oder Kartenkurs) zu ermitteln, müssen wir mehrere Korrekturen nacheinander berücksichtigen. Diese Korrekturen erfolgen nach einem logischen System, das wir Schritt für Schritt durchgehen.

Unsere Angaben:

·       Magnetkompasskurs (MgK): 85°

·       Ablenkung:                             Muss aus der Ablenkungstabelle entnommen werden

·       Missweisung (MW):                3°W

·       Wind:                                      Aus Richtung Nord. Windabdrift (BW) 7°

·       Strömung:                              Keine Strömumg

Gesucht wird der Kurs über Grund (KüG).

 

1.     Schritt     

 

Magnetkompasskurs (MgK): Der Magnetkompasskurs ist schlicht die Zahl, die der Steuermann direkt am Kompass des Schiffes abliest. In unserem Beispiel beträgt dieser 85°, was bedeutet, dass das Schiff nach der Kompassanzeige in eine Richtung von 85° gesteuert wird. Das entspricht einer Richtung etwas nördlich von Ost, da 90° genau Ost wäre. Dieser Wert tragen wir in eine Kursumwandlungstabelle ein:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MgK

 

 

 

 

 

 

 

 

85°

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.     Schritt: Ablenkung

In unserem konkreten Fall entnehmen wir der Ablenkungstabelle für unseren Magnetkompasskurs von 85° eine Ablenkung von +10°. Das Pluszeichen bedeutet, dass wir diese 10° zum Magnetkompasskurs hinzuaddieren müssen. Die Rechnung lautet also:

Magnetkompasskurs (MgK) 85° + Ablenkung 10° = 95°

Das Ergebnis dieser Rechnung nennen wir den missweisenden Kurs (mwK), der nun 95° beträgt. Der Begriff "missweisend" mag zunächst verwirrend klingen, aber er beschreibt präzise, was dieser Kurs bedeutet: Es ist der Winkel zwischen dem magnetischen Nordpol und der Längsachse (Kiellinie) unseres Schiffes. Wir haben jetzt also den Einfluss der schiffseigenen magnetischen Störungen herausgerechnet, aber noch nicht die generelle Abweichung zwischen magnetischem und geografischem Nordpol berücksichtigt.

 

Auch diese Werte tragen wir in unsere Kursumwandlungstabelle ein:

 

 

 

1

 

 

 

 

 

 

 

MgK

Abl

mwK

 

 

 

 

 

 

85°

+10°

95°

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

3.     Schritt: Missweisung

Die Missweisung beträgt in unserem Beispiel 3° West. Was bedeutet das genau? Eine westliche Missweisung zeigt an, dass der magnetische Nordpol vom geografischen Nordpol aus gesehen in westlicher Richtung liegt. Die Kompassnadel zeigt dabei zum magnetischen Nordpol, während wir für die Navigation den geografischen Nordpol als Bezugspunkt benötigen.

Bei der Umrechnung müssen wir beachten, dass eine westliche Missweisung im Gegenuhrzeigersinn wirkt. Daher verwenden wir in der Rechnung ein negatives Vorzeichen:

missweisender Kurs (mwK) 95° - Missweisung 3° = 92°

 

Das Ergebnis ist der rechtweisende Kurs (rwK), der nun 92° beträgt. Der Begriff "rechtweisend" bedeutet dabei, dass dieser Kurs sich auf den geografischen (oder "wahren") Nordpol bezieht. Der rechtweisende Kurs ist der Winkel zwischen dem geografischen Norden und der Längsachse unseres Schiffes.

Diese Umrechnung ist besonders wichtig für die Radarnavigation, da Radarpeilungen sich immer auf den geografischen Nordpol beziehen. Ohne die korrekte Berücksichtigung der Missweisung könnten wir Radarpeilungen nicht präzise mit unseren Kompasspeilungen vergleichen.

Wir tragen die Missweisung ein:

 

 

1

 

2

 

 

 

 

 

MgK

Abl

mwK

MW

rwK

 

 

 

 

85°

+10°

95°

-3°

92°

 

 

 

 

 

 

 

4.     Schritt: Windabdrift (BW)

Die Windabdrift beschreibt, wie der Wind ein Schiff seitlich von seinem gesteuerten Kurs wegdrückt.

Zunächst ist es wichtig zu verstehen, wie wir die Windrichtung angeben. In der Nautik wird der Wind immer nach der Richtung benannt, aus der er kommt. Ein Nordwind weht also aus Norden nach Süden.

Bei der Berechnung der Windabdrift müssen wir das Vorzeichen sehr sorgfältig beachten:

 

·       Lenkt der Wind das Schiff im Uhrzeigersinn ab (von unserem gewünschten Kurs aus gesehen), verwenden wir ein positives Vorzeichen.

·       Drängt der Wind das Schiff gegen den Uhrzeigersinn ab, verwenden wir ein negatives Vorzeichen.

 

In unserem konkreten Beispiel haben wir eine Windabdrift von 7° mit positivem Vorzeichen. Die Rechnung lautet also:

 

Rechtweisender Kurs (rwK) 92° + Windabdrift (BW) 7° = 99°

 

Das Ergebnis nennen wir Kurs durchs Wasser (KdW). Der Unterschied von 7° zwischen rwK und KdW mag klein erscheinen, kann aber über längere Strecken zu erheblichen Abweichungen führen.

Die Grösse der Windabdrift hängt von verschiedenen Faktoren ab:

 

·       Der Schiffstyp (besonders die Unterwasserform und die Windangriffsfläche)

·       Die Windstärke

·       Der Winkel zwischen Wind und Kurs

·       Die Geschwindigkeit des Schiffes

 

Ein erfahrener Navigator lernt mit der Zeit, die Windabdrift für sein Schiff einzuschätzen, muss aber trotzdem regelmässig überprüfen, ob seine Annahmen stimmen.

Wir tragen die Windabdrift in unsere Kursumwandlungstabelle ein:

 

 

1

 

2

 

3

 

 

 

MgK

Abl

mwK

MW

rwK

BW

KdW

 

 

85°

+10°

95°

-3°

92°

+7°

99°

 

 

 

 

 

5.     Schritt: Stromversetzung (BS)

Die Stromversetzung unterscheidet sich in einem wichtigen Punkt von der Windabdrift: Während der Wind das Schiff nur seitlich versetzt, kann eine Strömung das Schiff in jede Richtung beeinflussen. Sie kann uns nicht nur seitlich versetzen, sondern auch unsere Geschwindigkeit erhöhen oder verringern.

Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt in der Richtungsangabe. Anders als beim Wind, wird die Strömungsrichtung nach dem Ziel benannt, also in die Richtung, in die das Wasser fliesst. Eine Strömung mit 180° bedeutet also, dass das Wasser nach Süden fliesst. Die Geschwindigkeit der Strömung wird in Knoten angegeben, wobei ein Knoten einer Seemeile pro Stunde entspricht.

Auch wenn in unserem Beispiel keine Strömung vorhanden ist, würden wir bei einer vorhandenen Strömung deren Einfluss zum Kurs durchs Wasser (KdW) addieren oder subtrahieren, um den endgültigen Kurs über Grund (KüG) zu erhalten. In unserem Fall können wir hingegen einfach den Wert 0 eintragen.

 

 

1

 

2

 

3

 

4

 

MgK

Abl

mwK

MW

rwK

BW

KdW

BS

KüG

85°

+10°

95°

-3°

92°

+7°

99°

99°

 

 

In unserem Beispiel haben wir einen endgültigen Kurs über Grund (KüG) von 99° ermittelt. Dies ist der Kurs, den wir tatsächlich in unsere Seekarte einzeichnen können, denn er beschreibt den wahren Weg, den unser Schiff über dem Meeresboden zurücklegt. Er berücksichtigt alle Einflüsse, die auf unser Schiff einwirken:

·       Die magnetischen Einflüsse (Ablenkung und Missweisung)

·       Die Windabdrift

·       Die Stromversetzung (auch wenn sie in unserem Beispiel null war)

Besonders interessant ist der Vergleich zwischen den Anzeigen verschiedener Navigationsinstrumente. Wenn wir während der Fahrt auf unseren Steuerkompass und unser GPS-Gerät schauen, werden wir unterschiedliche Werte sehen:

·       Der Steuerkompass zeigt uns den Magnetkompasskurs (MgK) von 85° - dies ist sozusagen die "Rohversion" unserer Richtung, noch unbeeinflusst von allen Korrekturen.

·       Das GPS hingegen zeigt uns direkt den Kurs über Grund (KüG) von 99° an - es misst einfach die tatsächliche Bewegungsrichtung des Schiffes über dem Meeresboden.

Der Unterschied von 14° zwischen diesen beiden Werten mag auf den ersten Blick beunruhigend erscheinen, ist aber völlig normal und das Ergebnis aller Einflüsse, die wir schrittweise berechnet haben.

Nur durch das Verständnis dieser Zusammenhänge können wir unser Schiff sicher und präzise navigieren.


 

Beispiel 2: Wir kennen den Kurs aus der Karte und wollen wissen, welchen Kurs wir am Steuerkompass wir steuern müssen.

 

Unsere Angaben:

Kurs über Grund (KüG - Kartenkurs): 270°               

Strömung:                                          Keine Strömumg

Wind:                                                  aus Richtung Nord. Windabdrift (BW) 5°

Missweisung (MW):                            3°W

Gesucht wird der Magnetkompasskurs (MgK).

 

1. Schritt: Kurs über Grund (KüG)

Lassen Sie uns nun den umgekehrten Weg gehen: wenn wir einen bestimmten Kurs über Grund erreichen wollen, müssen wir "rückwärts rechnen", um den korrekten Steuerkompasskurs zu ermitteln.

 

 

2. Schritt: Kurs durchs Wasser (KdW)

In unserem Beispiel haben wir einen Kurs über Grund (KüG) von 270° aus der Karte abgelesen. Da keine Strömung vorhanden ist (BS = 0), ist unser Kurs durchs Wasser (KdW) ebenfalls 270°. Dies können wir direkt in unsere Tabelle eintragen:

 

 

 

 

 

 

 

 

1

 

 

 

 

 

 

 

KdW

BS

KüG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

270°

0

270°

 

 
3. Schritt: rechtweisender Kurs (rwK)

Nun müssen wir die Windabdrift berücksichtigen. Hier ist besondere Aufmerksamkeit erforderlich: Der Wind kommt aus Norden (000°), während unser Schiff nach Westen (270°) fährt. Die Windabdrift wirkt in dieser Situation gegen den Uhrzeigersinn, was normalerweise ein negatives Vorzeichen bedeuten würde.

Allerdings - und das ist der entscheidende Punkt - rechnen wir jetzt "rückwärts", also vom KüG zum MgK. Daher müssen wir die Vorzeichen umkehren. Was vorher subtrahiert wurde, muss jetzt addiert werden und umgekehrt. In unserem Fall bedeutet das, dass wir die Windabdrift von 5° zum KdW addieren müssen:

 

270° + 5° = 275° (rechtweisender Kurs rwK)

 

Diese systematische Umkehrung der Vorzeichen ist ein wichtiges Prinzip bei der Rückrechnung. Es hilft uns, die tatsächlichen physikalischen Effekte korrekt in unsere Kursberechnung einzubeziehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

2

 

1

 

 

 

 

 

rwK

BW

KdW

BS

KüG

 

 

 

 

 

-5°

 

 

 

 

 

 

 

275°

+5°

270°

 

270°

 

 

4. Schritt: missweisender Kurs (mwK)

Die Missweisung beträgt 3° West (3°W), was in der "normalen" Vorwärtsrechnung ein negatives Vorzeichen bedeuten würde. Warum? Weil eine westliche Missweisung bedeutet, dass der magnetische Nordpol westlich vom geografischen Nordpol liegt, was zu einer Ablenkung im Gegenuhrzeigersinn führt.

Da wir aber rückwärts rechnen - vom Kurs über Grund zum Magnetkompasskurs - müssen wir auch hier das Vorzeichen umkehren. Aus der Subtraktion wird eine Addition.

 

 

 

 

3

 

2

 

1

 

 

 

mwK

MW

rwK

BW

KdW

BS

KüG

 

 

 

-3°

 

-5°

 

 

 

 

 

278°

+3°

275°

+5°

270°

 

270°

 

 

 

 

5. Schritt: Magnetkompaskurs (MgK)

Aus der Ablenkungstabelle lesen wir für unseren Kursbereich eine Ablenkung von -9° ab. Wie bei den vorherigen Schritten müssen wir auch hier wieder das Prinzip der Vorzeichenumkehrung anwenden, da wir rückwärts rechnen. Aus der -9° wird also eine Addition von 9°:

 

Das Resultat - 287° - ist nun endlich der Kurs, den wir am Steuerkompass anlegen müssen.

 

 

4

 

3

 

2

 

1

 

MgK

Abl

mwK

MW

rwK

BW

KdW

BS

KüG

 

-9°

 

-3°

 

-5°

 

 

 

287°

+9°

278°

+3°

275°

+5°

270°

 

270°

 

 

 


 

Zusammenfassung: typische Kursumwandlungen

In der Praxis kommen zwei Fälle vor:

 

1.     Vom Steuerkompass (MgK) zur Seekarte (KüG)

1.     Magnetkompasskurs (MgK) am Kompass ablesen.

2.     Ablenkung aus Ablenkungstabelle ermitteln und addieren/subtrahieren missweisender Kurs (mwK).

3.     Missweisung (aus Seekarte) beachten rechtweisender Kurs (rwK).

4.     Einfluss von Wind (BW) berücksichtigen Kurs über Grund (KdW).

5.     Einfluss von Strömung (BS) berücksichtigen Kurs über Grund (KüG).

 

2.     Von der Seekarte (KüG) zum  Steuerkompass (MgK)

1.     Kurs über Grund (KüG) aus der Karte auslesen

2.     Einfluss von Strömung (BS) berücksichtigen Kurs durchs Wasser (KdW).

3.     Einfluss von Wind (BW) berücksichtigen rechtweisender Kurs (rwK).

4.     Missweisung (aus Seekarte) beachten missweisender Kurs (mwK).

5.     Ablenkung aus Ablenkungstabelle ermitteln und addieren/subtrahieren Magnetkompasskurs (MgK).

 

Achtung: In diesem Fall rechnen wir von rechts nach links und müssen aus diesem Grund immer die Vorzeichen wechseln.

 

 

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